"Ich weiß, ich habe wieder zu nett gepfiffen"
Hamburg. Das Spiel läuft eine halbe Stunde, da ist Reinhard Hermeneit, Stadionsprecher beim Glashütter SV, außer sich. Sein Sohn Kevin ist von Tobias Thiede vom SSV Rantzau gefoult worden, doch Schiedsrichterin Vanessa Rutkowski vom SC Eilbek belässt es bei einer Ermahnung. "Warum gibt sie keine Gelbe Karte?", ereifert sich Hermeneit. Glashüttes Seniorenspieler Michael Greiner beschwichtigt: "Das war kein Gelb." Während die beiden weiterdiskutieren, leitet Rutkowski längst wieder das Spiel auf dem Rasen. Die 23-Jährige gilt als talentierte Hamburger Schiedsrichterin, gehört dem Leistungskader A an. Schon mit 16 pfiff sie ihre ersten Spiele. Mit Markus von Glischinski, ebenfalls Schiedsrichter beim SC Eilbek, hat sie sogar einen eigenen Coach.
Der Bezirksligakick Glashütte II gegen Rantzau dürfte nicht in die Fußballgeschichte eingehen. Und doch wird Vanessa Rutkowskis Leistung bis ins Detail analysiert. Am Spielfeldrand steht Benjamin Stello, 36, und schreibt Anmerkungen in sein Notizbuch. "Die Zuschauer blende ich aus", sagt der Schiedsrichter vom SC Egenbüttel, der selbst Spiele bis zur Oberliga pfeift. An diesem Nachmittag ist er als Schiedsrichterbeobachter im Einsatz.
Zur Pause führt Rantzau vor 40 frierenden Zuschauern mit 1:0. Stello ist mit Rutkowskis Leistung zufrieden. Seine Notizen sind die Grundlage für ein Auswertungsgespräch nach der Partie und den Bewertungsbogen. Da geht es um Auftreten und Verhalten, Spielkontrolle und Strafen, Ausführung von Anweisungen sowie Laufvermögen und Stellungsspiel. Hat die Schiedsrichterin Mut zu unpopulären Entscheidungen? Bewertet sie Zweikämpfe korrekt? Achtet sie auf den Abstand der Mauer? All das, auch die Leistung ihrer Assistenten Jörg Blume, 41, und Maik Franz, 53, an der Linie wird erfasst. "Kaum ein Schiedsrichter macht alles richtig", sagt Stello. "Aber Vanessa hat das Spiel im Griff. Das ist wichtig."
Als Torwart einer Leipziger Amateurmannschaft hatte Stello einmal einem Schiedsrichter eine Elfmeterentscheidung ausgeredet. "Danach hatte er kein schönes Spiel mehr. Ich hatte Mitleid – und wurde selber Schiedsrichter", sagt er. Seit 2007 beobachtet er junge Unparteiische.
Die 1,61 Meter große Studentin für Wirtschaftsingenieurwissenschaften profitiert wie viele Referees vom System der Schiedsrichterbeobachtung, das von der Kreisklasse an greift. "Für mich ist das kein besonderer Druck", sagt sie. "Ich pfeife nicht für den Beobachter, nehme Anregungen aber gern mit, wenn ich mich verbessern kann."
In ihrer Jugend spielte sie für den Bramfelder SV. Noch als B-Jugendliche half sie in der Damenmannschaft aus, bis ein Kreuzbandriss ihre Karriere als Spielerin beendete. Als Unparteiische ist sie bei ein bis zwei Spielen an einem Wochenende im Einsatz. Mit dem nötigen Humor: Einem simulierenden Spieler in der Bezirksliga riet sie salopp, er solle sich "wie ein Mann" verhalten. Die Lacher waren auf ihrer Seite. Dabei beschreibt sie selbst sich als "zu nett".
Geld ist für einen Schiedsrichter keine Motivation. Rutkowski erhält 20,70 Euro, ihre Assistenten je 17,30 Euro. Beobachter Stello, der auch Schiedsrichter ausbildet, erhält fünf Euro – Fahrtzeit und Schreibarbeit inklusive. Kein Wunder, dass allein im Bezirksschiedsrichterausschuss Alster 200 Schiedsrichter fehlen.
In Hälfte zwei wird das Spiel härter. Glashütte drückt auf den Ausgleich. Die Fanlager murren und meckern im Wechsel. "Das ist doch Rot!", schreit Rantzaus Trainer Andreas Behnemann, als sein Spieler Torben Mohr an der Strafraumgrenze zu Fall kommt. Rutkowski zeigt Glashüttes Tom Schlichenmaier Gelb, Stello schreibt fleißig mit. Als Rantzau das 1:0 über die Zeit gebracht hat, ist Behnemann wieder friedlich und bedankt sich bei Rutkowski für die Spielleitung.
Rutkowski, Blume, Franz und Stello ziehen sich in die Schiedsrichterkabine zurück und diskutieren 25 Minuten lang Spiel und Leistung. Stello empfiehlt unter anderem lautere Pfiffe und ein energischeres Auftreten. "Ich weiß, ich war wieder zu nett", erwidert Rutkowski. Schließlich lobt der Beobachter: "Du bist in der Lage, in höheren Klassen zu pfeifen." Vanessa Rutkowski ist zufrieden. Jetzt wartet sie auf die schriftliche Bewertung, um die Anregungen bald umsetzen zu können. Um den Hamburger Amateurfußball wieder ein Stück besser zu machen.